jung und alt

Einsamkeit durchbrechen – für sich und andere 

Einsamkeitsgefühle treten oft bei Jugendlichen und älteren Menschen auf. Auch Personen mit Migrationshintergrund können sich in ihrer fremden Welt einsam fühlen. Allgemein geht man davon aus, dass ein Drittel der Bevölkerung von Einsamkeit betroffen ist. Mit Angeboten wie dem Besuchsdienst, dem Fahrdienst, der Freiwilligenarbeit oder dem Jugendrotkreuz will das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) Einsamkeit durchbrechen.  
Älterer Mann schaut nachdenklich aus Fenster

Mit zunehmendem Alter ist die Mobilität oft eingeschränkt: Gleichaltrige Bezugspersonen ziehen weg oder sterben, die Komplexität der Technik und die digitalisierte Welt überfordern vermehrt. Folglich besteht die Gefahr, dass sich ältere Menschen mehr und mehr isolieren. Sie fühlen sich dadurch einsam. Gemäss dem Altersmonitor von Pro Senectute leiden in der Schweiz rund 37 Prozent der über 85-Jährigen an Einsamkeit – das sind rund 90'000 Personen. Bei den 65- bis 74-Jährigen sind es rund 24 Prozent.  

Das Gefühl der Einsamkeit kennt auch der über 80-jährige Erwin Drechsler*. Einen grossen Teil seines Lebens hat er in Deutschland verbracht, bevor er in die Schweiz übersiedelte. Seine Frau ist verstorben und das letzte seiner Kinder ist kürzlich ebenfalls ins Ausland gezogen. Er hat noch ein paar Kollegen, aber neue Personen lernt er selten mehr kennen. Aus gesundheitlichen Gründen steht für Erwin Drechsler ein Wohnungswechsel an. Diese Veränderung wird ihn aus der gewohnten Umgebung reissen. Unbekanntes kommt auf ihn zu – Erwin Drechsler hat viele offene Fragen und fühlt sich unsicher. Die Situation belastet ihn zunehmend. Ein wöchentlicher Lichtblick ist für ihn deshalb der Rotkreuz-Besuchsdienst.   

Mehr zum Rotkreuz-Besuchsdienst

Zeit, Aufmerksamkeit und etwas Kraft

Den Rotkreuz-Besuchsdienst gibt es bereits seit 2012. Während der Coronapandemie haben Freiwillige vor allem Botendienste erledigt und für ältere sowie erkrankte Menschen eingekauft. Je nach Lebenssituation machen sie auch heute noch Besorgungen für die Kundschaft oder sie begleiten sie dabei. Denn der Wunsch, sich gut und frisch zu ernähren, ist meistens da, aber die Kraft, alle Einkäufe selbst noch nach Hause zu tragen, lässt mit zunehmendem Alter nach.  

Beim Rotkreuz-Besuchsdienst geht es vor allem um Kommunikation, um Aufmerksamkeit und um den sozialen Kontakt. Ein gemeinsames Kaffeetrinken ausserhalb der gewohnten Umgebung, ein Spaziergang oder ein kleiner Ausflug wirken sich in vielerlei Hinsicht positiv aus. Bewegung an der frischen Luft versorgt jede Zelle des Körpers mit Sauerstoff und Licht. Die Achtsamkeit wird trainiert, Muskeln und Bänder werden bewegt und der Kopf wird frei. Zudem nähren gute Gespräche die Seele. 

Vielleicht hört man aber auch einfach zu Hause gemeinsam Musik, blättert in Fotoalben und schwelgt in der Vergangenheit. Auch kleine Handreichungen im Haushalt sind hilfreich und willkommen. Freiwillige begleiten Kundinnen und Kunden zum Arztbesuch, Coiffeur-Termin oder Behördengang. Wenn möglich bietet das Rote Kreuz sprachlich passende Freiwilligeneinsätze an und bildet menschlich passende «Tandems», sodass immer dieselbe freiwillige Person vorbeikommt. Das schafft Vertrauen und Nähe.  

Soziale Kontakte unterstützen die Gesundheit 

Mehrere Studien belegen, dass soziale Kontakte wichtig für das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen sind. Es gilt deshalb, sie auch im Alter oder während einer belastenden Lebensphase zu aktivieren. Für Menschen, die eine eingeschränkte Mobilität aufweisen, werden persönliche Begegnungen aufwändiger. Hier setzt beispielsweise der Rotkreuz-Fahrdienst an. Freiwillige fahren mobilitätseingeschränkte Personen nicht nur zum Arzt oder in die Therapie, sondern auch gerne an einen Jass-Event, eine Geburtstagsfeier oder ins Konzert. Damit wird die soziale Teilhabe gefördert. 

Mehr zum Rotkreuz-Fahrdienst

Doch auch für jüngere Menschen stellt das Thema soziale Kontakte eine Herausforderung dar. An sich sind junge Menschen heute so gut vernetzt wie nie zuvor. Trotzdem steigt bei ihnen das Einsamkeitsgefühl. Das zeigt beispielsweise die Gesundheitsbefragung 2022: Im Vergleich zu 2017 wird bei den 15- bis 24-Jährigen eine entsprechende Verdoppelung von Einsamkeit von 4 auf 10 Prozent vermerkt.  

Freiwilligenarbeit ist erfüllend und gesellschaftlich integrierend  

Ein bewährtes Rezept gegen Einsamkeitsgefühle ist ein freiwilliges Engagement für eine gute Sache. Die Rotkreuz-Freiwilligen verschenken einen Teil ihrer Zeit für sinnstiftende Aufgaben. Gleichzeitig bekommen sie sehr viel Dankbarkeit, Vertrauen und Einsichten in interessante Lebensläufe zurück.   

Beim Jugendrotkreuz (JRK) engagieren sich Junge im Alter von 15 bis 30 Jahren. In ihren Projekten arbeiten sie mit Kindern, Familien, Menschen mit Migrationshintergrund und älteren Personen. Besonders berührend ist das Beispiel eines jungen Geflüchteten aus Afghanistan. Er nahm nach seiner Ankunft im Kanton Luzern zuerst an den JRK-Integrationstreffen teil – auch um die Sprache zu lernen. Danach wurde er selbst ein JRK-Volontär, der Brücken baut.   

Dienstleistungen wie der Rotkreuz-Besuchsdienst oder der Rotkreuz-Fahrdienst können nur durch das Engagement von Freiwilligen realisiert werden. Es mache ihr eine riesige Freude für das SRK unterwegs zu sein, sagte kürzlich eine 74-jährige freiwillige Fahrerin. Die verwitwete Frau fährt für das Rote Kreuz pro Jahr im Schnitt 25'000 Kilometer. 2024 haben die Rotkreuz-Freiwilligen rund 42'000 Stunden vulnerablen Menschen im Kanton Luzern geschenkt. Dabei geben sie sich selbst eine erfüllende Aufgabe und sind Teil eines sozialen Netzwerks. Das Rote Kreuz stellt immer wieder fest, dass es gerade die Alleinstehenden sind, die die nötige Kraft für andere Menschen aufbringen können. Es gibt immer wieder konkrete Beispiele von Freiwilligen, die sich beim Roten Kreuz melden, um selbst der Einsamkeit zu entfliehen.   

Mehr zur Freiwilligenarbeit beim SRK Kanton Luzern

Einsame Stunden und Tage mit Hilfe überwinden  

Eine Methode, um Einsamkeit in jedem Alter zu reduzieren oder sogar zu überwinden, ist also die Aktivität und die Offenheit für Neues. Es geht darum, die Nähe fremder Personen von Beginn an zuzulassen, sie ins eigene Leben einzuladen, gemeinsame Zeit zu verbringen und die neue Abwechslung zu geniessen.   

Die über 70-jährige Gertraud Zihlmann weiss aus ihrem freiwilligen Engagement, dass sogar kleine Handreichungen und Aufmerksamkeiten das Leben leichter machen können. Sie engagiert sich seit gut drei Jahren beim Rotkreuz-Besuchsdienst, nachdem sie sieben Jahre lang ihren dementen Partner betreut hatte. Ihre erste Klientin bei uns war eine noch junge Frau, die nach einer Operation demenziell erkrankte. Danach besuchte und begleitete sie eine ältere Dame für einige Jahre. Selbst als diese schliesslich in ein Heim umzog, haben sie sich einmal pro Woche bis zu ihrem Tod getroffen.   

Seit kurzem gilt ihr Engagement auch Erwin Drechsler*. Sie versteht seine Nöte gut und handelt. Beim letzten Besuch hat Gertraud Zihlmann eine Agenda mitgebracht, damit er seine vielen Termine und Notizen aus der unübersichtlichen Zettelwirtschaft sortieren und organisieren kann. Auch dringende Themen werden besprochen, das tut gut. Der Senior schätzt jedes einzelne Treffen und spürt das Verständnis und die Unterstützung. Das gibt einem Menschen auch in schwierigen Lebensabschnitten Kraft und Zuversicht.  

*Namen aufgrund des Persönlichkeitsschutzes geändert